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Führen und geführt werden

Mitarbeiter haben "ihren eigenen Kopf" und nutzen Beeinflussungstaktiken, um den Chef zu eigenen Zielen zu lenken. Wie geht man damit um?



Der durchschnittliche Handwerksbetrieb hat sieben Mitarbeiter und ist inhabergeführt. Keine Frage, wer hier sagt, wo's langgeht! Chef bzw. Chefin* setzt Ziele, trifft Entscheidungen, bestimmt den Weg. Oder?

 

Nicht ganz allein, denn Führung entsteht durch eine Führungsbeziehung zwischen zwei Menschen, die gleiche, aber auch unterschiedliche Ziele verfolgen. 

Für konservative Chefs und Chefinnen vielleicht eine empörende Vorstellung: Auch sie werden geführt - von ihren eigenen Mitarbeitern! 

 

Aber zunächst: Was ist Führung? Für den Wirtschaftspsychologen Lutz v. Rosenstiel ist Führung die "zielbezogene und bewusste Einflussnahme auf Menschen".

Man bringt andere dazu, dass alle an einem Strang ziehen. 

 

Mit der Absicht, sein Unternehmen zu erhalten und Gewinn zu erwirtschaften, setzt der Chef betriebliche Ziele und überlegt, wie diese zu erreichen sind. So möchte er z.B. knapp kalkulierte Aufträge effizient abarbeiten, den Ruf eines zuverlässigen Handwerksbetriebs haben oder

besonders hohe Qualität liefern.  

 

Die Mitarbeiter werden vom Chef so angeleitet, dass diese Ziele - seiner Erfahrung nach - erreichbar werden. Hierin zeigt sich auch der Erfolg einer guten Führungspersönlichkeit: Die Mitarbeiter werden durch "richtiges" Führen zu Leistung angespornt und erreichen Ziele.

Guten Chefs gelingt es dabei, sowohl die Aufgaben als auch die Interessen der Mitarbeiter im Auge zu behalten. Das Ergebnis ist dann ein erfolgreicher Betrieb mit zufriedenen Mitarbeitern. 

 

Aber auch Mitarbeiter haben Ziele. Persönliche Ziele sind beispielsweise mehr Lohn oder bessere Arbeitszeiten. Ebenso können Mitarbeiter eigene Vorstellungen von der Organisation oder Ausführung der Arbeit haben. Während jedoch der Chef durch seine Positionsmacht Weisungen geben kann, die zu befolgen sind, können Mitarbeiter dies nicht. Um den Vorgesetzten zu beeinflussen, werden Studien zufolge andere, subtile Taktiken angewendet.

 

Die gängigsten Beeinflussungsversuche gegenüber der Führungsperson**: 

 

  • Mitarbeiter versuchen, ganz direkt durch sachliche Argumente zu überzeugen
  • Sie weisen darauf hin, wie sehr und worin ihre Ideen die Ziele des Chefs unterstützen
  • Mitarbeiter stellen eigene Ideen vor und bitten den Chefs um Rat, der sich hierdurch geehrt fühlt und offener zuhört. 
  • Mehrere Kollegen schließen sich zusammen, um gemeinsam zu überzeugen
  • Die Sympathie des Chefs wird durch Zustimmung oder Gefälligkeiten erschmeichelt 
  • Entschlossenes Auftreten und Drohungen (z. B. zu kündigen)
  • Verhandeln: "Ich übernehme zusätzlich Arbeit, wenn ich dafür meinen Urlaub nach meinen Vorstellungen nehmen kann."
  • Der Mitarbeiter weist auf besondere Fähigkeiten hin, durch die er besonders kompetent ist (z. B. weil er bestimmte Schulungen besucht hat)
  • Selbstdarstellung als besonders tüchtiger und fähiger Mitarbeiter
  • Blockieren, indem man langsamer arbeitet oder "krank macht"

Obwohl Chefs diese Beeinflussungsversuche durchaus bemerken, ist es nicht einfach, sich hier zu entziehen. Besonders in Bereichen, in denen Fachkräfte schwer zu finden sind, möchte der Meister nicht unnötige Konflikte heraufbeschwören. 

 

Wie kann man reagieren, wenn Mitarbeitern offenbar vorschwebt, eigene Wünsche und Ideen umzusetzen?

 

Klare Kommunikation

Allgemein hilft es, wenn im Betrieb eine sachliche und offene Kommunikation möglich ist, denn dann sind Mitarbeiter seltener genötigt, auf "Führungsspielchen" auszuweichen. Wenn der Chef die Anliegen von Mitarbeitern ernst nimmt und angemessen reagiert, wissen Mitarbeiter, dass man "mit ihm reden kann" und unsachliche Taktiken nicht erforderlich sind. 

 

Genau hinhören

Die erste Reaktion im Gespräch mit Mitarbeitern sollte kein voreiliges Abschmettern sein. Es lohnt sich, in der Kommunikation genau hinzuhören und lieber noch einmal zu hinterfragen. Solche Fragen beginnen am besten mit den Worten: WIE, WANN, WOMIT, WAS, WER. 

Fragen, die mit Wieso, Weshalb, Warum beginnen, eignen sich meist nicht, denn darin stecken für den Befragten bereits Vorwurf und Abwehr. 

 

Mögliche Interessen des Mitarbeiters abschätzen

Zunächst ist zu unterscheiden: Möchte der Mitarbeiter ganz persönliche Wünsche durchsetzen oder bezieht sich sein Handeln auf die Zusammenarbeit und Organisation im Betrieb? Die Erfüllung persönlicher Wünsche, auch wenn sie nicht ausdrücklich und sachlich geäußert 

wurden, wird immer eine Auswirkung auf die Arbeitszufriedenheit des Mitarbeiters, aber auch des gesamten Teams haben. Hier ist zwischen Entgegenkommen und Fairness abzuwägen. Ein guter Mitarbeiter verdient es, dass im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten auch private

Wünsche berücksichtigt werden. Gleichzeitig sollte dies dann auch anderen Mitarbeitern eingeräumt werden können, wenn sie einmal ein besonderes Anliegen haben. 

 

Grenzen setzen

Aktionen wie blockieren, krank feiern, drohen sind unfair, jedoch leider nicht immer dingfest zu machen. Hat der Mitarbeiter nun blau gemacht oder hatte er wirklich einen Hexenschuss? Hat er gedroht oder nur sachlich mögliche Konsequenzen aufgezeigt? Was passiert, wenn der Mitarbeiter nun mehrere Tage nicht kommt, kann der Kundenauftrag dann noch abgearbeitet werden? Eine schwierige Situation.

 

Wenn der Chef sich der Prioriäten seiner Ziele genau bewusst ist, fällt es leichter, angemessen zu reagieren. Welcher Schaden wird langfristig größer sein: Ein Mitarbeiter, der dauerhaft "auf der Nase herumtanzt" oder ein Kunde, der verärgert wird? Muss das Problem mit dem Mitarbeiter überhaupt sofort geklärt werden oder ist ein ruhiges Gespräch zu einem späteren Zeitpunkt sinnvoll? 

 

Wenn möglich, sollten dem Mitarbeiter bei solchem Verhalten ganz klare Grenzen gesetzt werden. Blockieren, krank machen und drohen gehören nicht zum Arbeitsvertrag und bringen dem Betrieb und dem Mitarbeiter keinen Nutzen. Dies sollte Mitarbeitern deutlich werden. 

Gleichzeitig ist solches Mitarbeiterverhalten auch für den Chef Anlass zur Selbstreflexion: Hat er mit seinem Führungsverhalten dazu beigetragen, dass es soweit kommen konnte? 

 

Loben

Häufig betreffen Beeinflussungsversuche die Zusammenarbeit, Organisation oder technische Umsetzung im Betrieb. Sie zeigen, dass der Mitarbeiter mitdenkt. Vielleicht sollen die Arbeitsbedingungen und -ergebnisse im Sinne der Unternehmensziele verbessert werden. Vielleicht werden auch bewusst oder unbewusst persönliche Ziele verfolgt, z. B. um unangenehme Arbeiten an andere zu delegieren. Aber ist das nicht menschlich und möglicherweise ein Hinweis auf Unter- oder Überforderung? Meist werden Beeinflussungsversuche von Mitarbeitern unternommen, um die Arbeit effizienter und besser zu machen. Mitarbeiter kennen ihren Arbeitsbereich, den Betrieb und die Abläufe sehr gut und bemerken, wenn etwas optimiert werden kann. Dies zeigt Engagement. Hierfür hat der Mitarbeiter ein offenes Ohr und Anerkennung verdient. 

Darüber hinaus können Beeinflussungsversuche darauf hindeuten, dass Mitarbeiter auf ihre Person, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Leistungen aufmerksam machen wollen. Auch hier kann der Chef sein Führungsverhalten hinterfragen: Bezahlung allein genügt nicht. Aufmerksamkeit und Lob sind wichtiger Bestandteil der Entlohnung und sollten bewusst und regelmäßig "ausgezahlt" werden.  

 

Erklären

Im Gegensatz zum Chef kennen Mitarbeiter die Gründe für Anweisungen oft nicht ganzheitlich. Sie können Entscheidungen für grundfalsch halten, weil ihnen Informationen fehlen. Sie können Alternativen vorschlagen, die aus Sicht der Unternehmensführung nicht umsetzbar sind. Diese 

Gründe sollten dann im Idealfall genannt und diskutiert werden, denn vielleicht wandelt auch der Chef manchmal auf ausgetretenen Pfaden und übersieht darüber neue Möglichkeiten. 

 

Gleichzeitig kann man nicht aus jeder Führungsentscheidung eine heitere Diskussionsrunde machen. Dennoch sollten gute und mündige Mitarbeiter so viele Informationen wie möglich erhalten. Auch wenn Entscheidungen bereits feststehen, werden diese eher akzeptiert, wenn die Gründe bekannt sind. Darüber hinaus fühlen sich Mitarbeiter ernst genommen, wenn Hintergrundinformationen erhalten.

 

Hierbei gilt: Lange, ausschweifende Erklärungen ähneln einer Rechtfertigung und fordern Einwände heraus. Je kürzer und prägnanter Erklärungen ausfallen, um so weniger Raum lassen sie für neue Diskussionen. Daher sollten Dinge, die nicht zur Diskussion stehen, mit wenigen Worten begründet werden.  

 

Zulassen und reflektieren

Handwerksbetriebe sind vorwiegend tradionell geprägt mit einer klaren Hierarchie von Chef, Meister, Geselle, Lehrling. Häufig werden Betriebe von zwei Generationen mit unterschiedlichen Führungsstilen geleitet. Während die ältere Generation eher den patriarchalischen 

Führungsstil anwendet und klare Anweisungen gibt, übergeben jüngere Führungskräfte schon mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum an ihre Mitarbeiter. Dem liegt u. a. ein Wertewandel zugrunde. Waren früher Autorität und Gehorsam wichtig, haben nun in der Mitarbeiterführung Unabhängigkeit und Gleichberechtigung an Bedeutung gewonnen. Fachkräfte sind in ihrer Qualifikation häufig dem Chef dicht auf den Fersen und manchmal sogar überlegen und fordern ein, ernst genommen zu werden. Mit zunehmender Ausbildung und Spezifikation steigt das Bedürfnis nach Einfluss und Freiraum in der Arbeitsausübung. Dies zu ermöglichen ist ein wichtiger Faktor der Arbeitszufriedenheit

 

Als Chef ist es daher eine gute Führungsentscheidung, Mitarbeiter Einfluss nehmen zu lassen. Im Idealfall geschieht durch ein sachliches, aufmerksames

Gespräch. Dabei gehört es zu den Führungsaufgabe eines Chefs, Mitarbeiter durch offenes und wertschätzendes Verhalten zu solchem sachlichen Austausch zu ermuntern und negative Verhaltensweisen gar nicht erst herauszufordern.  

 

*zugunsten der besseren Lesbarkeit wird vorwiegend die männliche Form verwendet, auch wenn alle Geschlechter angesprochen sind. 

 

**Quelle: 

Nerdinger, P., Blickle, P., & Schaper, P. (2014). Arbeits- und Organisationspsychologie. Berlin Heidelberg: Springer-Verlag. S. 93 ff.

 

Womit haben Sie gute Erfahrungen gemacht, wenn Mitarbeiter auf subtile Art Mitsprache fordern? Schreiben Sie mir einen Kommentar! 

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